„Die größte Herausforderung ist die finanzielle Situation in den Gemeinden“

„Die größte Herausforderung ist die finanzielle Situation in den Gemeinden“

NÖN-Landespolitik-Redakteur Philipp Grabner bat NÖ GVV-Präsident Bgm. Andreas Kollross zu einem schriftlichen Interview zu kommunal relevanten Fragen insbesonders zum BürgermeisterInnenamt. Die Geschichte erschien diese Woche auf NÖN-online hinter eine Paywall in gekürzter Form. Hier können Sie das gesamte Interview nachlesen.

Wie schwierig ist die Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten, die sich um das Bürgermeisteramt bewerben?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Es kommt oftmals auch auf speziellen Umstände vor Ort, unter anderem auch auf die Größe der Gemeinde an. Je kleiner die Gemeinde, desto weniger mögliche Kandidatinnen und Kandidaten gibt es für das Bürgermeisteramt. Je größer die Gemeinde, desto einfacher ist die Suche. Nachdem es in Niederösterreich bis dato keine Gemeinde gibt, der kein Bürgermeister vorsteht und in naher Zukunft sich dieses nicht ändern wird, waren bis jetzt geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu finden.

Ist die Arbeitslast für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in den letzten Jahren mehr geworden? Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie da gemacht?

Es wird leider die Bürokratie immer mehr. Wir sind als BürgermeisterInnen das letzte Glied in der Kette und für die Bürgerinnen und Bürger defacto für alles zuständig, egal ob wir laut Verfassung dafür auch die Kompetenz haben. Bund und Land vergessen oftmals bei der Gesetzgebung, dass die unterste Ebene, also die Gemeinden, deren Beschlüsse dann umzusetzen haben. In vielen Fragen musst du schon fast ein ausgebildeter Jurist sein, was in den wenigsten Fällen der Realität entspricht.

Wie könnte man Bürgermeisterinnen und Bürgermeister entlasten?

Es geht nicht nur um die Person des Bürgermeisters, sondern für mich viel mehr um das Gemeindeamt an sich, dem der Bürgermeister vorsteht. Es gehört in erster Linie das Gemeindeamt entlastet. Die Aufgaben in allen Bereichen werden mehr, die Bedürfnisse der Mitbürgerinnen und Mitbürger ebenso, die finanziellen Spielräume auf der anderen Seite immer geringer. Ein konkretes Beispiel der vergangenen Wochen und Monate. 

Dass wir als Gemeinden, vom Erstellen des Wählerverzeichnisses bis zur Durchführung der Wahlhandlung für die Abwicklung der Landwirtschaftskammerwahlen zuständig sind, währenddessen die Wirtschaftskammer wie die Arbeiterkammer ihre Wahlen selbstständig und ohne Gemeinden durchführt, hat mir noch niemand erklären können. Es mag historisch gewachsen sein. Zeitgemäß ist das schon lange nicht mehr. Eine Ungleichbehandlung der einzelnen Kammern ist es ebenso.

Ist der Verdienst für Bürgermeisterinnen und Bürgermeister angemessen?

In den Augen der Mehrheit der Bevölkerung verdienen Politikerinnen und Politiker von Haus aus zu viel. Wenn ich jetzt sagen würde, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister verdienen zu wenig, setze ich mich wahrscheinlich einem Shitstorm aus. Deshalb würde ich es so beantworten: Sehen wir uns die Verantwortung der BürgermeisterInnen an. Sehen wir uns an, wie hoch das Budget ist, das diese zu verantworten haben und vergleichen dann nur mit einem mittleren Management in der Privatwirtschaft. Da mag es dann möglicherweise für manche verständlich sein, warum Sie die erste Frage, ob man noch Kandidatinnen und Kandidaten fürs Bürgermeisteramt bekommt, nicht ganz unrichtigerweise gestellt haben.

Mit welchen Herausforderungen sehen sich die Gemeindeoberhäupter/die Gemeinden derzeit am meisten konfrontiert?

Die größte Herausforderung, und das schon seit einiger Zeit, ist die finanzielle Situation in den Gemeinden. Hier geht es um zwei Faktoren. Erstens hängen die Gemeinden am Gesamtsteuerkuchen, der in der momentanen Rezession nicht größer wird. Die sogenannten Ertragsanteile, also jener Teil, der aus dem Gesamtsteuerkuchen den Gemeinden zusteht, wird nicht größer. Gleichzeitig sind die Gemeinden in Niederösterreich zum Beispiel, was man als normaler Bürger oftmals gar nicht weiß, zu 50 Prozent bei der Mitfinanzierung beim Spitalswesen, der Kinder- und Jugendhilfe wie der Sozialhilfe zuständig. Diese Summern werden bei gleichbleibenden Ertragsanteilen immer höher. Ich kann das gerne auch prozentual veranschaulichen. Während im Jahr 2019 nach Abzügen der Einbehalte durch das Land für die Mitfinanzierungen noch 51% von den Ertragsanteilen in der Gemeindekassa blieben, sind es jetzt nur mehr 41%. Tendenz weiter fallend. Das geht sich für viele Gemeinden nicht mehr aus, und wird sich bald für alle Gemeinden nicht mehr ausgehen, wenn es hier zu keiner Korrektur kommt.

Angesichts des Budgetdefizits wird auf Bundesebene über eine Föderalismusreform diskutiert. Wie stehen Sie einer solchen gegenüber – und wo könnte man tatsächlich ansetzen? Sind Gemeindefusionen für Sie ein Thema?

Das ist so schnell dahingesagt, weshalb ich dafür bin, hier Fakten entgegenzuhalten. Wenn wir das Gesamtsteueraufkommen betrachten, dann fallen aus dem großen Kuchen des Steueraufkommens 11,82 Prozent auf die 2092 Gemeinden in Österreich. Über 88 Prozent teilen sich Bund und Bundesländer. Ich glaube nicht, dass es eine nachhaltige Sanierung und Effizienz bedeutet anhand der knappen 12 Prozent eine Spardebatte zu führen. Wer die Grundrechnungsarten beherrscht, wird mir da wohl zustimmen.

Wie geht es den Gemeinden finanziell?

Das habe ich mit den Herausforderungen bereits beantwortet. Die finanzielle Situation ist im Moment für alle Gemeinden das größte Problem. Alles andere würde ich unter business as usual verbuchen.